Fachkräftemangel: So steht es um die Pflege

Der Pflegesektor ist als Arbeitsmarkt Fluch und Segen zugleich. Fluch für Kliniken und Pflegeheime, die im Schnitt ein halbes Jahr brauchen, um eine freigewordene Stelle neu besetzen zu können. Segen für Pflegefachkräfte, die sich ihren Wunscharbeitgeber quasi aussuchen können und oft mit Begrüßungsgeldern, Umzugszuschüssen und anderen Angeboten von den Vorzügen der Mitarbeit überzeugt werden.

Examinierte, Helfer und Helfershelfer

Bis zu Beginn der Generalistischen Pflegeausbildungen im Jahr 2020, die durch das Pflegeberufereformgesetz geregelt werden, galt die Pflegeausbildung als eine Art Stufenmodell. Nach jedem der drei Ausbildungsjahre erlangten die Absolventen mit einer bestandenen Prüfung einen Teilabschluss. Innerhalb der Pflegebranche war geregelt, was Pflegehelfer mit dem Nachweis der erfolgreichen einjährigen/zweijährigen/dreijährigen Ausbildung jeweils machen an Arbeiten und Verantwortung übernehmen durften. Die Prüfung nach drei Jahren war das Examen und machte die Auszubildenden zu dem, was in Zukunft Pflegefachkräfte heißen wird. Außerdem waren noch diverse Pflegehelfer ohne konkret regulierte Ausbildungen am Start, die sich z.B. Pflegeassistenten nannten.

Im Grunde ändert sich daran nicht sehr viel, außer dass es nun anders genannt wird. Lediglich die reine Altenpflegeausbildung wird es so nicht mehr geben, denn alle Auszubildenden in der generalistischen Pflegeausbildung absolvieren inhaltlich zwei gemeinsame Jahre und die Spezialisierungen erfolgen im dritten Jahr. Wirkliche Veränderungen ergeben sich hieraus aber auch nicht, weil es schon immer vorgeschrieben war, in Pflegeausbildungen alle Pflegebereiche von Rehaklinik bis mobilem Pflegedienst zu durchlaufen.

Es fehlt an examinierten Kräften

Für den Helferbereich gibt es deutlich mehr Bewerber, so dass diese Stellen in der Regel zügig wieder besetzt werden können. Was fehlt, sind examinierte Kräfte, die für das diensthabende Team die Verantwortung übernehmen. Denn nur examinierte Kräfte dürfen tatsächlich die verantwortungsvolle Behandlungspflege ausüben und dokumentieren. In der Praxis verabreichen oft aber auch Helfer oder Mitarbeiter in Freiwilligendiensten Insulin- oder Heparinspritzen, weil das Personal fehlt. Die ungeliebten Teildienste, die es tatsächlich in vielen Einrichtungen noch gibt, gehen meist zu Lasten des Fachpersonals, um Behandlungspflege zu gewährleisten.

Die Pflege braucht Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die Vereinbarkeit von Job und Kindern ist kein reines Frauenthema, denn immer mehr Väter engagieren sich in der Erziehung des Nachwuchses. Doch die Arbeitszeiten in der Pflege sind für Familien sehr schwierig zu organisieren. Pflegeeinrichtungen reagieren darauf zwar mit guten Angeboten, wie hauseigenen Kitas, Zwischenschichten und Teilzeitverträgen, trotzdem suchen sich Pflegefachkräfte häufig Jobs innerhalb eines Klinikums oder des Pflegesektors, die sie wochentags zu büroüblichen Arbeitszeiten ausüben können. Sie finden sich dann in der Verwaltung, in Ambulanzsprechstunden wieder oder wechseln sogar die Branche.

Pflegestudium – mehr Stress für gleiches Geld

Seit Jahren gibt es die Möglichkeit Pflege auch zu studieren. Theoretisch wird der Abschluss höher gewertet, erfordert mehr Zeit und Lernarbeit. In der Praxis sind studierte Pflegekräfte den examinierten jedoch meist gleichgestellt. Das bezieht sich auf die Tätigkeiten und oft auch aufs Gehalt. Die öffentliche und medienwirksame Diskussion, ob Pflege generell studiert werden sollte, würde den Fachkräftemangel vermutlich sogar noch verstärken, weil viele, die gern in der Pflege arbeiten wollen, die Zugangsvoraussetzungen gar nicht erfüllen und diese auch nur unter sehr schweren Bedingungen erlangen könnten, wenn überhaupt.

Persönlichkeit vs. Fachwissen – der innere Kampf im Pflegesektor

Die generalistische Pflegeausbildung hat vor allem HauptschülerInnen getroffen, die sich beruflich in der Altenpflege sahen. Denn mit einem Hauptschulabschluss allein, ist der Zugang zu dieser Ausbildung nicht möglich. Die Option, eine einjährige Pflegehelferausbildung zu machen, die bei Erfolg auf die dreijährige Ausbildung angerechnet wird, mildert das zwar wieder ab, hat aber eine alte Gewohnheit auch nur neu benannt und damit für Verunsicherung gesorgt. Wie überhaupt die Diskussionen um Zugangsvoraussetzungen immer mit viel Kritik befeuert werden. Denn neben all dem Fachwissen kommt es in der Pflege vor allem auf die persönliche Eignung an. Wer empathisch und geduldig mit Pflegeempfängern umgeht, wird zumindest von den Kunden lieber gesehen, als die kompetente Oberschwester, die mit geübten Griffen schmerzhafte Spritzen setzt. Und wer einen Blick auf die Statistiken wirft, wird unschwer erkennen, dass Abiturienten in den seltensten Fällen Pflege studieren. Pflegestudenten rekrutieren sich überwiegend aus dem qualifizierten Pflegepersonal an den Kliniken und studieren berufsbegleitend.

Wohnen statt Pflegen

Die deutsche Bürokratie hat im Qualitätsmanagement von Pflegeeinrichtungen ihren absoluten Höhepunkt gefunden. Die Seniorenheime ertrinken in Vorschriften, auch was das Personal angeht. Im Grunde sollte ein Altenheim das Heim für einen alternden Menschen sein. Das Wohnen und Gefühl von Zuhause sein, sollte im Vordergrund stehen. Dass Senioren kurz nach dem Einzug in ein Seniorenheim ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten rasant verlieren, liegt zum Teil auch daran, dass ihnen aus Zeitgründen zu viele Aufgaben abgenommen werden, die sie eigentlich noch selbst erledigen könnten.

Natürlich steht außer Frage, dass Senioren in der Grundpflege unterstützt werden müssen und es sinnvoll ist, Vitalwerte zu kontrollieren, Medikamente zu geben und ggf. Trinkprotokolle zu führen. Doch in gemütlicher Runde bei einem Trink-Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel würde ein Senior automatisch trinken. Das muss jedoch leider immer öfter ausfallen, weil Pläne geschrieben, Dokumentationen vervollständigt werden müssen oder ein Bewohner noch zu fit ist, um an den Betreuungsangeboten teilnehmen zu dürfen, die für Menschen mit erhöhtem Betreuungsbedarf zusätzlich bezahlt werden.

Neue Konzepte für Seniorenheime stehen daher hoch im Kurs bei vorsorgenden Menschen mittleren Alters oder Angehörigen, die ihre Senioren nicht einfach nur gut versorgt wissen, sondern auch den Wohlfühlfaktor hoch halten wollen.

Ausländische Abschlüsse werden oft nicht anerkannt

In Deutschland leben Millionen von Fachkräften mit ausländischen Abschlüssen, die entweder als Reinigungskräfte, Montagehelfer oder gar nicht arbeiten. Ärzte aus dem arabischen Raum beispielsweise sind hochqualifiziert, müssen aber aufwendige Anerkennungsverfahren durchlaufen, um in ihrem Beruf arbeiten zu dürfen. Einige würden, um am Patienten arbeiten zu können, gern in der Pflege arbeiten, doch sie dürfen nicht. Dabei würde das mehrere Probleme lösen, auf allen Seiten. Denn das berufsbezogene Vokabular lernt sich nun mal am besten im Umgang mit Patienten, Pflegern und Ärzten. Zudem wäre eine Stelle besetzt und die Arbeit getan.

Selbst innerhalb der Europäischen Union sind Abschlüsse nicht immer anerkannt. Viele Fachkräfte aus dem Ausland nehmen die Zulassungsmodalitäten zwar in Kauf, müssten es aber nach EU Recht eigentlich gar nicht unbedingt. Unikliniken nutzen ihre Rekrutierungsprogramme für Fachpersonal im Ausland als Marketinginstrument und bedenken dabei eines nicht. Mit jeder abgeworbenen Pflegefachkraft wird auch das Gesundheitssystem in anderen Ländern belastet.